Thomas Böhner, erster Vorsitzender von Help Liberia-Kpon Ma e.V., stellte sich selbst und das Land seines herausragenden Engagements im Einewelthaus München vor. Eingeladen war er von Pax Christi und dem Münchner Friedensbündnis im Rahmen der Münchner Friedenswochen 2024.
Der Bildvortrag nahm die Anwesenden mit auf eine Reise in die afrikanischen Subtropen und dort in ein Land, das eine
Insel der Besonderheiten auf einem an Besonderheiten besonders reichen Kontinent ist.
Hier folgen nun ein paar Stichworte zum Weiterlesen und Recherchieren. Die historischen und sozialen Zusammenhänge werden in ihrer vollen Komplexität angesprochen (wo es sich lohnt, weiter nachzuforschen wechselt die Textfarbe). Die eingebundenen Videos ermöglichen es dem Lesenden, sein neues Wissen zu vertiefen, die Veranschaulichung zu genießen und ein stabiles Gerüst chronologisch geordneter Fakten aufzubauen.
Die Website von Thomas Böhners Projekt steht unter Help Liberia e.V. im Netz, wo man auf einer handgezeichneten Karte die beiden Kliniken findet, die sein Verein seit dem Bürgerkrieg betreibt.
Baldmöglichst sollen beide Kliniken an die Teams übergeben werden, die jetzt schon weitgehend selbstständig die Arbeit vor Ort machen. Ansätze hierfür gibt es. Das Problem: Bürokratie, Korruption und fehlende Planbarkeit – kurz: funktionierende staatliche Verwaltung und verlässliche anwaltliche Beratung sind schwer zu finden. Der nächste Schritt ist die Registrierung als liberianischen Organisation – als eingetragene, gemeinnützige Gesellschaft.
Seit Menschengedenken lag der Küstenabschnitt der Grain oder Pepper Coast außerhalb jeglichen staatlichen Zugriffs.
Hier endete die Reise von Migranten aus Nordost- und Zentralafrika.
Sie kamen wunderbar zurecht an diesem Ort, wo man sich in kleinen Verbänden niederließ, Busch rodete und Landwirtschaft betrieb. Es entstanden kleine, selbstorganisierte Dörfer. Die größte Macht lag in den Händen der Alten sowie bei dem jeweiligen Clan-Chief und seinem religiösen Gegenspieler. Letzterem stand es zu, Menschen zu vertreiben oder zu töten. Er hatte das letzte Wort.
Zur Legitimation dienten dem obersten Priester Masken und medizinisches Geheimwissen .
In den uralten Zeiten (die bis ins 20. Jahrhundert reichen) konnten die Priester machtbesessenen, eigennützigen Clanchiefs wirkungsvoll drohen und sie bei fehlender Unterordnung bestrafen. Der Missbrauch dieser Tradition trug später wesentlich zur umfassend zerstörerischen Dynamik des Bürgerkriegs (1990-2003) bei.
Die Menschen in den Gesellschaften des alten Liberia dachten zugleich höchst individualisiert-mobil und kollektivistisch-territorial. Noch heute bestimmen persönliche Abhängigkeitsverhältnisse und komplexe Machtkonstellationen unterschwellig und total den zwischenmenschlichen Alltag so wie das woanders die Uhrzeit oder die Gesetze tun.
Im frühen 19. Jahrhundert, als der Sklavenhandel längst verboten war, übernahmen befreite Plantagensklaven (Amerikoliberianer) und im Kongobecken illegal versklavte, auf See jedoch aufgegriffene meist junge Männer (Congos) die Herrschaft über die ursprünglichen Einwanderungsgesellschaften an der Pfefferküste, indem sie einen Einwanderungsstaat errichteten.
Ein Einwanderungsstaat ist ein Staat, der von einer eingewanderten Gruppe auf fremdem Territorium begründet wird. Bestimmte Umstände ermöglichen es den Einwanderern, ein verbindendes System für die vielen lokalen Gesellschaften zu errichten. Der Nationbuilding Prozess wird meist nur gegen Widerstände durchgesetzt – oft mit Gewalt – und die Kulturgeschichte vor der Gründung der Nation wird dabei unterschlagen. Nur wenn die Einwanderer ihr Recht durchsetzen können, sind für alle Sicherheit, Ordnung und internationale Wirksamkeit gewährleistet. Zu den Einwanderungsstaaten zählen die USA, deren Verfassung und Landnahmegeschichte sich in der liberianischen Staatswerdung spiegeln, aber auch zum Beispiel Kanada, Israel und viele andere.
Um 1900 dehnte sich der liberianische Staat unter dem Druck der imperialistischen, benachbarten Kolonialstaaten Guinea, Sierra Leone und Cote d’Ivoire von der Küste her mit Waffengewalt systematisch aus.
Dadurch kamen in den neu gegründeten Bezirken Leute in Machtpositionen, die für die Regierung in Monrovia arbeiteten. Zeitgleich sorgten die ersten Erfahrungen mit Lohn- und die Zwangsarbeit dafür, dass der Eigennutz und bürgerliches Gewinnstreben zu blühen begannen. Die religiösen Rituale verloren ihre politische Kontrollfunktion.
Von 1847 (Staatsgründung und Unabhängigkeit) bis 1980 bildete die ethnisch diverse, aber in die Region erst im 19. Jahrhundert eingewanderten Gruppe der Amerikoliberianer und Congos die jeweilige Regierung. Die Native Liberians hatten per Gesetz kein Wahlrecht und erst in den 60er Jahren so viel Bildung, dass einige in der Verwaltung aufstiegen. Armee, Polizei und Regionalregierungen waren die ersten Orte, wo wenige Native Liberians z.B. aus der Ethnie der Vai politische Macht erringen konnten. Die Zentralregierung begegnete jeglichen Herausforderungen mit nur einer Methode: Anschluss an Weltwirtschaft und Weltpolitik suchen. Das Defizit an Integration nach innen, konnte mit dieser autoritären Strategie in den 50er bis 70er Jahren scheinbar erfolgreich ausgeglichen werden. Westdeutschland – Thyssen-Krupp betrieb die Eisenerzmine in Bong Mines (s. obige Karte) und die USA (Coca Cola, Firestone und Kalter Krieg) standen dabei Pate. Vor allem in der Regierungszeit von William Tubman gab es ein ansehnliches Wachstum von Tourismus und internationalen akademischen Austausch, Zuwachs an Bildung und Verbesserung der Infrastruktur. Viele ältere Liberianer denken noch heute nostalgisch an diese Zeit zurück – sie erzählen z.B. davon, wie sie in den Hotelschwimmbecken schwimmen lernten. In Deutschland haben nicht wenige Menschen ihre Kinderheit in Liberia verbracht und mit dem Bürgerkrieg ihre Heimat verloren. In Liberia erinnern sich nur noch wenige an die Ärzte und Ingenieure, die in den 70er Jahren in Westdeutschland studierten.
Beispiele aus unserem Verein sind Michael Jentzsch (Blutsbrüder, liberianische Sprache und Storytelling-Kultur), dessen Eltern als Missionare nach Liberia gingen und Hayo Wolfram, dessen Vater hier als ethnologisch interessierter Bauingenieur tätig war. Außerdem besteht enger Kontakt zu Klaudia Gieraths, der Schwester der 2020 verstorbenen Margret Gieraths-Nimine (Bundesverdienstkreuz), die die GerLib Klinik, ein Waisenhaus und ein Community Center in der Heimat ihres Mannes begründet hat. Sie hat Liberia nie – auch nicht im Bürgerkrieg – im Stich gelassen.
Die liberianische Gesellschaft wird von vielen Kontrasten geprägt – der Unterschied zwischen Reich und Arm spielt dabei nicht die größte Rolle.
Wurden Kinder auf dem Land in der alten Gesellschaft einfach überall hin mitgenommen und angelernt, bis sie reif für die sogenannten Busch-Schulen waren, schickte man sie ab dem 20. Jahrhundert zu Verwandten an die Küste, damit sie ihre Chance für den gesellschaftlichen Aufstieg der Familie nutzen sollten.
An der Küste trafen sich alle Kulturen. Weil aber dort das Leben teuer ist und die Probleme für junge Menschen schwer zu meistern waren, hat sich die traditionelle Spiritualität als scheinbar letzte Zuflucht über alle Zeiten hinweg erhalten können. Das grenzenlose, einen großen Teil Westafrikas einbeziehende Kommunikationsnetzwerk aus uralten Zeiten ist bis heute lebendig geblieben. Es wirkt wie eine Parallelgesellschaft, eine Rückversicherung für alle, die weiterhin im legalen Nationalstaat Liberia keine Chance haben.
Die liberianische Gesellschaft kennt die Probleme der Aboregines und der Native-Americans mit den Europäern, aber auch Zwangsarbeit und den Rassismus als Instrumente der Machthaber.
Die alten Rituale werden heute zwar immer noch als Sicherheitsversprechen für den Notfall gesehen, verstoßen aber oft gegen Gesetze und verletzen das Moralgefühl vieler aufgeklärt denkender jungen Liberianerinnen und Liberianer. Zugleich werden aber absurderweise auch in der Hauptstadt noch immer Kinder in die Buschschulen entführt, ohne dass die Polizei die Macht hätte, dagegen einzuschreiten. Keiner Regierung gelang es Gewalt komplett beim Staat zu monopolisieren. Besonders leidtragend sind die Mädchen – denen es auch passieren kann, dass sie wegen Hexerei verstoßen oder aufgrund von Entscheidungen weit entfernt lebender Angehöriger zur Beschneidung gezwungen werden.
Den liberianischen Bürgerkrieg haben diese Netzwerke und uralten Rivalitäten extrem befeuert, weil sich die Priester auf die Seite unterschiedlicher Warlords stellten und diese darin unterstützten, ihrer jugendlichen Gefolgschaft vorzumachen, dass sie unverwundbar sei. Die alte Gesellschaft hat der neuen, durch zentrale Regierung, Steuersystem und Lohnarbeit gekennzeichneten Gesellschaft nicht nur den Spiegel vorgehalten, sondern sie auch besiegt. Von 1985-2003 hatte jegliche Moral die staatliche Fürsprache verloren. Der liberianische Bürgerkrieg hat die kulturelle und die materielle Infrastruktur des Landes weitgehend vernichtet und die gesamte Bevölkerung traumatisiert.
Liberia ist das erste von vielen Bürgerkriegsländern, die seit den 90er Jahren den Konflikt von religiös geordneter, staatenloser Personenverbandsgesellschaft und Nationalstaat auf die Spitze getrieben und damit alles einmal Blühende zerstört haben.
Die Geschichte Liberias ist eine Tragödie. Was ein freies Land werden sollte, schloss sehr viele aus -so viele, dass sich Samuel Doe mit Hilfe des Militärs 1980 an die Macht putschte, um endlich die Alleinherrschaft der True Whig Party der ethnisch vielfältigen aber erst im 19. Jahrhundert zugewanderten Congos und Amerikoliberianer zu beenden.
Sie schlossen sämtliche einheimische Ethnien systematisch von der politischen Teilhabe aus.
Ronald Reagan stützte Doe während dieser letzten Dekade des Kalten Kriegs. Als in Deutschland die Mauer fiel und als die Ukraine gegründet wurde, begann in großem Stil der Waffenschmuggel über Libyen nach Westafrika. Offiziell zerfiel der liberianische Bürgerkrieg in zwei Teile: 1990-1997 und 1997- 2003. In der Mitte lagen Waffenstillstand und Wahl des Warlords Charles Taylor zum Präsidenten.
Das Vorspiel mit Samuel Doe brachte die traditionellen Eliten in Machtstellung, denn Does Präsidentschaft wurde als ethnische Parteinahme für seine Volksgruppe interpretiert und das demokratische System damit propagandistisch ausgeschlachtet.
Der Liberianische Bürgerkrieg wurde von der Frauenbewegung Women for Peace beendet. Der Wiederaufbau der Verwaltung fand in wichtigen Teilen allerdings bereits während der Zeit vor Ellen Johnson-Sirleafs Wahl zur ersten Nachkriegspräsidentin und ersten Präsidentin Afrikas überhaupt statt. Empfehlenswert über den Krieg: Der Dokumentarfilm Pray the Devil back to hell über Leymah Gbowees Kampf gegen den Diktator Charles Taylor.
Der Liberianische Bürgerkrieg war der erste von vielen, die der Implosion des sowjetischen Imperiums folgten – auf dem Balkan, im Nahen Osten und auf dem afrikanischen Kontinent. Dieser Krieg war voller Drogen, Propaganda und sexualisierter, grenzenloser Gewalt. Die Beschreibungen erinnern an frühere sogenannte Religionskriege – wo den Menschen auch überirdische Versprechen gemacht wurden.
Charles Taylor sitzt seit seiner Verurteilung für die Verbrechen, die er als liberianischer Präsident in Sierra Leone beging, in einem Londoner Gefängnis (2011). Einer seiner wichtigsten Kombattanten hat die liberianische Politik bis vor kurzem aktiv mitbestimmt.
Prince Johnson ist vor wenigen Tagen eines natürlichen Todes gestorben.
„Johnson ran for president in 2011 and 2017, but was unsuccessful, finishing third and fourth, respectively. However, his endorsement of George Weah in the 2017 run-off was pivotal in Weah’s victory. By 2022, Johnson withdrew his support for Weah, citing dissatisfaction with Nimba County’s lack of representation in key government positions.
Johnson’s political career was not without controversy. In 2009, the Truth and Reconciliation Commission (TRC) recommended a 30-year ban on him from holding public office due to his role in the civil war. Johnson dismissed the TRC’s findings as biased, and a later ruling by the Supreme Court declared these recommendations unconstitutional.
In 2021, Johnson faced new challenges when the U.S. Department of Treasury sanctioned him for alleged corruption, accusing him of engaging in vote-buying. Despite these allegations, Johnson remained a dominant political figure in Nimba County, winning re-election to the Senate in 2014 and 2023.
Beyond politics, Johnson was also the head pastor of the Christ Chapel of Faith Ministry in Paynesville. He used this platform to combine religious teachings with political rhetoric, portraying himself as both a spiritual and political leader.
Johnson’s death marks the end of an era in both Nimba County and Liberia. His influence on the nation’s political and social dynamics will leave a lasting legacy that will continue to be debated for years to come.
Prince Yormie Johnson’s passing has left a void in in Nimba’s politics. As Nimba and country reflect on his life, his legacy will continue to provoke mixed emotions—a reminder of the country’s tumultuous history and its ongoing path toward peace and reconciliation.“ (Zeitungsartikel unbekannter Herkunft, 28.11.2024)
Hier: Ducor Hotel, 2014.
Keine liberianische Regierung hat es bisher vermocht, die inneren Brüche im Land zu heilen. Das Land lebt im übertragenen und realen Sinn zwischen allen Welten – in einer enormen, den Einzelnen fast unausweichlich überfordernden Komplexität.
Thomas Böhners Verein „Help Liberia-Kpon Ma“ und From Street to School und Globales Lernen e.V. tragen auf verschiedenen Feldern dazu bei, dass es immer ein bisschen besser wird.
Und da wir durch unser Kultur- und Prozesswissen gelernt haben, dass unsere Normalperspektive maximal die halbe Wahrheit enthält ;-), sind wir zuversichtlich, dass unsere Partner ihren Weg machen werden – trotz aller diskriminierenden Umstände!
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